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Das Geld bleibt im Haus, genauer gesagt im Schlafzimmer. Spät Nachts jedoch kommt die Bank vorbei, um die Zinsen der Hypothek einzufordern, Illustration: Moriz Oberberger, 2023

Das Teilprojekt Eigentum schaffen und gebrauchen nimmt den Begriff der Wohneigentumsbiografie zum Ausgangspunkt, um der Genese und Verwirklichung von Wünschen nach Wohneigentum nachzugehen.

Wohnungspolitische Entscheidungen gründen seit Jahrzehnten auf der Förderung vom Leben im Eigenheim und von Wohneigentumsbildung. Eigentum ist, wie theoretisch im vorherigen Beitrag Das Einfamilienhaus im Licht der Wohn- und Bodeneigentumsfrage dargestellt, im Bereich des Wohnens besonders umstritten und fachpolitisch zu reflektieren. Wird aber die Nachfragenseite beobachtet, werden Normen wie Freiheit erwähnt. Das heißt, dass sich politische Steuerung einerseits und gesellschaftliche Erwartungen an dem Wohneigentum andererseits, voneinander trennen. Vor diesem Hintergrund möchten wir die anhaltende Wirkmächtigkeit eigenheimspezifischer Freiheitserzählungen nachzeichnen, wie sie sich vielfach in die Begründung von Wohneigentum einschreiben. Konkret beschäftigt sich die Untersuchung damit, wie Eigenheimbesitzer*innen die Entstehungsgeschichte ihres Wohneigentums narrativ erzählen und reflektieren. In der Analyse wird dabei auf Ambivalenzen und Widersprüche aufmerksam gemacht, welche diese Erzählungen durchziehen. Der Fokus wird entsprechend weniger auf materielle Fragen, wie Vermögens- und Einkommensverteilung, Stadtentwicklung-, aber auch Zins-, Bau- und Bodenpolitik gerichtet. Vielmehr betrachten wir, wie Menschen über ihr Eigentum sprechen und spüren gegenwärtigen Bedeutung von Wohneigentum nach.

Über Mundpropaganda (im Bekanntenkreis) und schriftliche Anfragen im Briefkasten führten wir vier narrative Interviews im Umland von Weimar durch. Unsere Zielgruppe waren die Besitzer*innen von Einfamilien-Eigenheimen. Alle Interviews wurden mit Paaren unterschiedlichen Alters geführt. Drei von vier haben einen Neubau errichtet. Zwei jüngere Paare leben mit ihren Kindern zusammen. Bei den beiden älteren Paaren leben die Kinder nicht mehr mit im Haus.

„Bitte erinnern Sie sich an die Zeit zurück, bevor Sie Ihr Haus gebaut/gekauft haben. Warum haben Sie sich für ein Eigenheim entschieden? Haben sich die Erwartungen an das Eigenheim für Sie rückblickend erfüllt?“ 1

  1. 1 Interview Nr. 01, 06/2023

Die Fragen zum Entscheidungsprozess ermöglichen es, die Wertvorstellungen und Motivationen für den Erwerb eines Einfamilienhauses, Aspekte der Finanzierung, der Wohnortwahl und der eigenen Wohnsozialisation, sowie das Verhältnis der Eigentümer*innen zu ihrem Eigenheim in Erfahrung zu bringen und zu verstehen. Wie Wohneigentum individuell begründet und rationalisiert wird, soll im Folgenden anhand von drei Tendenzen aufgezeigt werden.

Vorstellung von Gestaltungsfreiheit

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Der Umbau und das Einziehen sind im vollen Gange, aber nicht ohne Hürden und sehr Kräfte zehrend, Illustration: Moriz Oberberger, 2023

Sowohl der Erwerb, als auch die alltägliche Nutzung von Wohneigentum sind stark vom Wunsch nach Gestaltungsfreiheit geprägt. Der Wunsch, frei über die Gestaltung und Nutzung des Eigenheims entscheiden zu können, steht in engem Zusammenhang mit dem Bedürfnis nach Kontrolle und Pflege des Hauses. Der Wunsch nach Gestaltungsfreiheit wird dann auch zum Imperativ des Selbermachens.

„Wir können tun und lassen was wir wollen. Wenn wir hier 100 Löcher in die Wand bohren wollen, können wir das machen und müssen nicht dran denken, was sagt der Vermieter. Oder wo man ne Wand haben will, man muss sich nicht abstimmen. Aber klar, hier muss man sich auch abstimmen, wenn es um die Einfriedung des Grundstücks geht, müssten wir theoretisch keine Rücksprache halten, machen wir aber natürlich trotzdem.“ 2

  1. 2 Interview Nr. 01, 06/2023

Diese Gestaltungsfreiheit im Innen- und Außenbereich wird nicht nur durch baurechtliche Vorgaben eingeschränkt. Die Interviewpartner*innen artikulierten auch Schwierigkeiten, ihre eigenen Gestaltungswünsche zu realisieren. In einem untersuchten Einfamilienhausgebiet konnten die Eigentümer*innen beispielsweise zwischen verschiedenen Haustypen wählen. Je nach Bedarf gab es beispielsweise Townhouses für junge Familien mit Kinder- und Arbeitszimmern oder ebenerdige, eingeschossige Bungalows für Paare. Diese Haustypen können nur bedingt individualisiert werden und machen letztlich ein falsches Versprechen bezüglich scheinbar individueller Gestaltungsfreiheit am eigenen Haus. Bauliche Veränderungen erfordern jedoch häufig Fachwissen, Zeit und zusätzliche finanzielle Mittel. Anhand dieses Zitates wird deutlich, dass die Hauseigentümer*innen nicht nur am Bau ihres Hauses mitwirken wollten, sondern die Eigenleistung schließlich zur Voraussetzung für die Erfüllung der eigenen Wohnwünsche wurde.

„Wir konnten auch während der Bauphase eingreifen, mit den Wänden und Rohren, mussten vielleicht Nachschlag zahlen, aber so war es wie wir es wollten. Ich war jeden Tag hier und hier auf der Baustelle. Das ging mit meiner Arbeit. Mein Büro ist 2 km entfernt, ich war jeden Tag hier um vorzubeugen, dass etwas anders gemacht wird. Das geht nur wenn man hier ist. Die anderen kommen Abends her und fangen dann an zu telefonieren, da ist das Kind schon in den Brunnen gefallen. Auch bei simplen Sachen, wo die Rohre und Waschbecken. Mit 30 Jahren hat man aber noch nicht den Blick dafür, die Erfahrung und den Blick, was einen gestört hat. Jetzt weiß man, wie man es möchte, man hat seine Erfahrung, die man nutzen kann. Nein, sagt man dann, das hier kommt jetzt woanders hin.“ 3

  1. 3 Interview Nr. 03, 06/2023

Finanzielle Unabhängigkeit

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Das Geld bleibt im Haus, genauer gesagt im Schlafzimmer. Spät Nachts jedoch kommt die Bank vorbei, um die Zinsen der Hypothek einzufordern, Illustration: Moriz Oberberger, 2023

„Also die Entscheidung gegen eine Eigentumswohnung ist relativ schnell gefallen. Ähm weil die Preise fast ähnlich hoch waren, wie ein Eigenheim wenn man sich in einer bestimmten Quadratmeter bewegt. Also wir hatten 120 Quadratmeter. Und Altbau fanden wir auch schön und die zentrale Lage. Aber die Größe und das Verhältnis zu dem was es kostet und die Nachteile, dass man trotzdem direkte Nachbaren hat, die man sich nicht aussuchen kann. Gut das kann man hier auch nicht, aber man muss sich nicht rumschlagen, wer jetzt das Treppenhaus putzt. Also es war schon so ein Stück Unabhängigkeit.” 4

  1. 4 Interview Nr. 01, 06/2023

Als Motivation für den Erwerb von Wohneigentum spielen Wertsteigerungsvorstellungen eine eher untergeordnete Rolle. Im Vordergrund steht vielmehr der Wunsch, finanziell sowie gegenüber Vermieter*innen unabhängig zu sein. Auf der anderen Seite entstehen neue Formen der Abhängigkeit von kreditgebenden Finanzinstituten und der eigenen Rückzahlungsfähigkeit.

In einem Interview wurde beispielsweise der Kauf eines Einfamilienhauses als (finanziell) irrationale Entscheidung beschrieben: Auf den ersten Blick „rechne“ sich ein Haus für sie im Vergleich zur Miete durchaus. Denn hier, so eine verbreitete Annahme, würde das Geld nicht an eine*n fremden Vermieter*in fließen, sondern „in die eigene Tasche gewirtschaftet“. Dabei würde allerdings „vergessen, dass man auch Fenster austauschen muss und Rücklagen für Heizung und Dach braucht“ 5 .

Gerade aber die Rückzahlung der Kredite über einen langen Zeitraum (in unseren Interviews zwischen 15 und 30 Jahren) wird als notwendige und manchmal belastende Konsequenz des Hauserwerbs beschrieben. Mit Freude, so ein Paar, würde auf das Ende der Kreditlaufzeit gewartet. Ein Paar beschreibt diesen Moment folgendermaßen:

  1. 5 Interview Nr. 01, 06/2023

„Fertig zu sein. Ja. Ich hatte dieses Gefühl schon einmal (bei einem früheren Hauskauf, Anm. d. Verf.) und es war sehr befreiend. Wenn wir gesund bleiben, haben wir ein Ziel und das sind vier Jahre. Das Wichtigste ist, gesund zu bleiben und die Arbeit zu behalten. Und dann schaffen wir das.“ 6

  1. 6 Interview Nr. 03, 08/2023

So begleiten Sorgen über Arbeitsunfähigkeit oder Arbeitslosigkeiten teilweise die Zeit bis zur Abbezahlung. In der Rückzahlungsphase entstehen auch neue Abhängigkeiten zwischen den Paaren: So beschreibt die Frau eines jüngeren Paares, dass sie mit dem Hauskauf die Abhängigkeit von der Ehe besonders spürt. „Alles funktioniert, wenn man als Paar gut funktioniert […] Wenn man zusammenwohnt und eine Mietwohnung hat und die Wege sich trennen, dann nimmt jeder seinen Kram. Hier ist es eine andere Hausnummer.“ 7

  1. 7 Interview Nr. 02, 06/2023

Vorstellung von Autonomie und selbstbestimmtem Wohnen

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Das Haus wird sich auf die Bedürfnisse auf ein Leben im hohen Alter und im Rollstuhl anpassen sollen, Illustration: Moriz Oberberger, 2023

Vorstellungen von autonomem und selbstbestimmtem Wohnen sind eng mit dem Wohneigentum verbunden. Ein Moment der Autonomie betrifft beispielsweise das Leben im Alter. Kurz vor der Rente stehende Eigenheimbesitzer*innen verwiesen darauf, dass der kürzlich abgeschlossene Hausbau auch davon geprägt war, über das Leben im Alter nachzudenken und erste bauliche Vorbereitungen dafür zu treffen. Selbstständigkeit meint hier die Möglichkeit, im Alter auch mit Rollstuhl oder Rollator im Haus bleiben zu können.

Was das Leben so bringt, werden wir sehen. Ist alles so angelegt, dass das alles so geht. Haben überall breite Türen, haben keine Stufen. Selbst wenn jemand nicht mehr so kann mit Rollstuhl oder Rollator. Dann sollte das funktionieren. Das man noch ins Bad kommt. Im Alter lebt man ja eher auf einer Etage und wenn man kein Schlafzimmer ebenerdig hat, dann muss man unten im Wohnzimmer leben.“ 8

  1. 8 Interview Nr. 03, 08/2023

Obwohl der Wunsch besteht, auch im Alter im Haus wohnen zu bleiben, steht das Vererben an zukünftige Generationen nicht im Vordergrund.

A

 „Meine Eltern haben auch ein Haus, da ist der Wunsch, dass das Kind mit einzieht. Aber heute baut man nicht mehr für die Kinder, wo es von Generation zu Generation weitergegeben wird. Den Zahn musste ich auch meinen Eltern ziehen. Wenn man ehrlich ist, wird es auf einen Verkauf hinauslaufen. (Unsere) Kinder kommen hier nicht (her). Man kann sich Wünschen, dass jemand kommt, der das Haus in Ehren hält.“

B

„Der nicht nur hier wohnt. Ein Haus möchte gehegt und gepflegt werden.“ 9

  1. 9 Interview Nr. 03, 08/2023

In diesem Abschnitt wird deutlich, dass das Wohnen im Einfamilienhaus stark auf die Paarbeziehung im Alter und kaum noch auf ein generationenübergreifendes Zusammenleben ausgerichtet ist. Gleichzeitig besteht der Wunsch, dass das Haus auch in Zukunft von anderen bewohnt wird und eine ähnliche emotionale Bindung entsteht.

Ein weiterer Aspekt des selbstbestimmten Wohnens ist die Verfügbarkeit von mehr Platz. Dieser Punkt ist vor allem im Zusammenhang mit der Sozialisation und den Wohnerfahrungen zu verstehen. Im folgenden Zitat zeigt sich, dass ein Paar einen Teil ihres Leben in einer Großwohnsiedlung gewohnt haben und dort durchaus Vorzüge des modernen und komfortablen Lebens gesehen haben. Doch eine Verbesserung des Wohnens ging hier maßgeblich mit einer Vergrößerung einher.

A

„Ich habe immer in Mietwohnungen gelebt, mich hat das weniger gestört. Klar die Größe, aber auch die Mietwohnungen sind größer geworden. War schon was anderes als in Lobeda, zu DDR-Zeiten war das super, aber danach war es nicht mehr das was man wollte. Danach wollte man sich schon verbessern und vergrößern.“

„Diese Freiheit mit einem Haus und Grundstück. Wir haben davor in einer Wohnung gewohnt, das war nicht groß [...]“

B

„Was meinen Sie genau mit Freiheit?“

A

„Das ist wie tief durchatmen können. Ich kann in einem eigenen Haus, ich muss niemanden fragen, ich muss keine Rücksicht nehmen auf die Nachbarschaft. Ich kann tun und lassen was ich will. Klar, im Außenbereich ist man eingeschränkt. Aber das ist einfach dieses Lebensgefühl. Ich habe, ja, Platz, bzw. ich konnte mir die Größe des Hauses entsprechend raussuchen und das eben bauen.“ 10

  1. 10 Interview Nr. 03, 08/2023

Und was lernen wir daraus?

Bestimmte Freiheitskonstruktionen prägen auch heute noch das Wohneigentum, unabhängig davon, ob sie sich bewahrheiten oder nicht. Die narrativen Interviews ermöglichten es, diese Konstruktionen im Kontext der eigenen Wohnbiografie nachzuzeichnen und die Beweggründe für die Entscheidung zum Wohneigentum zu verstehen. Dabei wurde weniger auf die Vollständigkeit der Motive geachtet, als vielmehr auf jene, die bestimmte Vorstellungen von Freiheit in sich tragen.

Aufbauend auf diesen ersten Grundtendenzen kann das kleine Sample von nur vier Interviews zukünftig noch erweitert und mittels anderer Haushaltsstrukturen differenziert werden. Es fehlen beispielsweise Haushalte, die durch Erbe Eigentümer*innen geworden sind oder sich für Wohneigentum in Bestandswohnungen entschieden haben.

Dabei geht es nicht darum, Eigentum zu affirmieren, sondern mögliche Widersprüche und Herausforderungen aufzuzeigen, die mit Wohneigentum verbunden sind. In einem weiteren Schritt kann überlegt werden, wie bestimmte Motive für privates Wohneigentum auch in anderen, z.B. gemeinschaftlichen Eigentumsformen erfüllt werden können.

Weitere Beteiligte: Marie Weber, Selina Klaus

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03:48

Julia von Mende, Hanna Maria Schlösser

Das Einfamilienhaus zur Disposition – Empirisches Wissen und Weiterentwerfen

In Deutschland gibt es 16 Millionen Einfamilienhäuser mit einer oder zwei Wohnungen (Destatis, 2022, S.16). Um das Maß für die enorme Anzahl dieser Bestandsgebäude zu begreifen, hier ein Rechenbeispiel: Bei 83 Millionen Einwohner*innen hätten theoretisch alle Bundesbürger*innen in den bereits bestehenden Einfamilienhäusern ein Dach über dem Kopf, würden sie sich dort jeweils zu fünft arrangieren. Ein solches Transformationspotential adressiert unmittelbar die Planungspraxis. Es kann aber nur gemeinsam mit den Bewohner*innen gehoben werden.